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Der Beirat beim deutschen DSC
Über- und Ausblick
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Stiftung Neue Verantwortung
April 17, 2024
Diese Seite ist ein Informationsangebot zum zukünftigen Beirat beim deutschen „Digital Services Coordinator“ (DSC). Insbesondere mögliche Beiratsmitglieder aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft können hoffentlich davon profitieren.
Der DSC ist eine Aufsichts- und Koordinierungsstelle, die laut dem EU-Gesetz zu Onlineplattformen („Digital Services Act“, DSA) jedes EU-Mitgliedsland einrichten muss. Die deutschen Gesetzgeber haben festgelegt, dass der DSC als unabhängige Stelle bei der Bundesnetzagentur eingerichtet wird. Ihm soll ein Beirat zur Seite gestellt werden.
Die Informationen basieren hauptsächlich auf dem Digitale-Dienste-Gesetz und den Stellungnahmen dazu. Die Stellungnahmen zum Referentenentwurf finden sich beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr, jene zum späteren Regierungsentwurf beim Deutschen Bundestag. Die SNV hatte zu den Gesetzesentwürfen Stellung genommen.
Die offizielle Webseite des deutschen DSC ist unter dsc.bund.de zu finden, wo es auch eine Unterseite zum Beirat gibt: dsc.bund.de/DSC/DE/1DSC/Beirat/start.html.
Update, September 2024: Die Beiratsmitglieder sind benannt
Am 18. September 2024 kam der Beirat erstmals zusammen, nachdem der Bundestag die Mitglieder im Sommer benannt hatte.
🔎 In einer Pressemitteilung begrüßt die Bundesnetzagentur die Beiratsmitglieder.
Folgende Fachleute sitzen nun im ersten DSC-Beirat:
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Aus der Wissenschaft
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Christina Elmer (Professorin für Digitalen Journalismus und Datenjournalismus, TU Dortmund)
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Ulrike Klinger (Professorin für Digitale Demokratie, Europa Universität Viadrina)
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Tobias Mast (Medienwissenschaftler, Leibniz-Institut für Medienforschung - Hans-Bredow-Institut)
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Henrike Weiden (Professorin für das Recht der Digitalisierung, Hochschule München)
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Vorsitzende des Beirats
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Aus der Zivilgesellschaft (einschließlich Verbraucher:innenverbände)
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Josephine Ballon (HateAid)
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Stellvertretende Vorsitzende des Beirats
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Lina Ehrig (Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv))
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Markus Hartmann (Leitender Oberstaatsanwalt, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC NRW))
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Siegfried Schneider (Staatsminister a. D.)
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Matthias Spielkamp (Bündnis F5: AlgorithmWatch, Gesellschaft für Freiheitsrechte, Open
Knowledge Foundation Deutschland, Reporter ohne Grenzen, Wikimedia
Deutschland)
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Teresa Widlok (LOAD)
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Svea Windwehr (Zentrum für Digitalen Fortschritt D64)
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Aus Wirtschaftsverbänden
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Susanne Dehmel (Digitalverband Bitkom)
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Dirk Freytag (Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW))
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Alexander Rabe (Verband der Internetwirtschaft eco)
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Hintergrund zur Benennung durch den Bundestag
Der Bundestag hatte sich im Frühjahr/Sommer 2024 auf Vorschläge für die Mitglieder geeinigt. Die Abstimmung dazu fand am 4. Juli 2024 statt.
🔎 Das Plenarprotokoll zu Abstimmung über die Beiratsmitglieder ist beim Bundestag zu finden.
Der Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) im Bundestag standen zwei Vorschläge für Mitglieder vor. Sie schlug nur eine Person vor, die aber in der Abstimmung im Bundestag abgelehnt wurde. Die zwei Beiratsstellen, die der AfD „zustehen“, bleiben daher unbesetzt. Insgesamt wird der Beirat somit aus 14, nicht wie im Digitale-Dienste-Geseetz vorgesehen aus 16, Mitgliedern bestehen.
⚡ Das Beiratsmitglied Svea Windwehr wird eine Kolumne zur Arbeit im Beirat schreiben. netzpolitik.org veröffentlicht die „Geschichten aus dem DSC-Beirat“.
Was ist der Digital Services Coordinator (DSC)?
Der DSC ist eine Behörde, die sich um die Einhaltung des „Digital Services Act“ (DSA) kümmert. Dieses Gesetz legt einige Pflichten etwa für Suchmaschinen, Video-Apps, Onlinemarktplätze und soziale Netzwerke fest. Erklärtes Ziel des Gesetzes ist es, Menschen ein „transparentes und sicheres Online-Umfeld“ zu bieten. Zum Beispiel müssen Plattformen einfach verständliche AGB haben, Menschen die Möglichkeit bieten, potenziell illegale Inhalte zu melden, ihre algorithmischen Empfehlungssysteme erklären und Onlinewerbung klar kennzeichnen.
Der DSA sieht spezielle zusätzliche Regeln für „sehr große“ Onlineplattformen vor. Das sind solche mit mindestens 45 Millionen Nutzenden in der EU pro Monat. Zu prüfen, ob diese sehr großen Plattformen die Regeln einhalten, ist hauptsächlich Aufgabe der Europäischen Kommission. Für kleine und mittelgroße Plattformen sind nationale Behörden in den jeweiligen Mitgliedstaaten zuständig. Diese Behörden in einem Land zu koordinieren und selbst bei der Plattformaufsicht mitzuwirken ist Aufgabe des DSC.
💡 Details zu den Aufgaben und offenen Fragen zum DSC finden Sie hier: Papier zur Rolle des DSC, Stiftung Neue Verantwortung, Februar 2024 (Englisch)
Eine Übersicht der DSCs in der EU ist hier auf Englisch zusammengestellt: Digital Services Coordinators (DSCs) in Europe
In Deutschland wird der DSC bei der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA) aufgebaut. Dort soll eine von den anderen Strukturen unabhängige Einheit entstehen, die für den DSA zuständig ist. Das ist im Digitale-Dienste-Gesetz geregelt.
💡 Die Webseite des deutschen DSC ist unter dsc.bund.de zu finden.
Was ist das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG)?
Das DDG ist die deutsche Umsetzung des DSA. Dort sind hauptsächlich Bußgeldvorschriften und die Behördenzuständigkeiten geregelt. Festgelegt ist im DDG, dass der DSC bei der Bundesnetzagentur aufgebaut wird.
Weitere zuständige Behörden sind:
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Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz
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Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit
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Landesmedienanstalten
Diesen Behörden soll ein Beirat zur Seite gestellt werden.
(Darüber haben auch andere Behörden wie das Bundeskriminalamt, das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur selbst noch Aufgaben zu erfüllen.)
⚖️ Der Text des DDG ist im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Der Beirat ist dort auf den Seiten 12 und 13 beschrieben (§ 21), was auch ganz am Ende dieses Dokument nachzulesen ist (zusammen mit den dazugehörigen Gesetzesbegründungen).
Wann ist das DDG in Kraft, ab wann gibt es den Beirat?
Das DDG ist am 14. Mai 2024 in Kraft getreten.
Möglicherweise könnte also ab Sommer der Aufbau des Beirats beginnen.
ℹ️ Einen Überblick über den abgeschlossenen Gesetzgebungsprozess liefert der Bundestag.
Was ist die Idee hinter dem Beirat?
Der DSA deckt eine ganze Reihe von Plattformen und damit verbundenen Themen und Risiken ab: von gefälschten Produkten auf Onlinemarktplätzen über Datenschutzverstöße bei Werbung auf Plattformen bis zu fehlenden Meldewegen für potenziell illegale Posts auf sozialen Netzwerken.
Fachkenntnisse und Erfahrungswerte zu solch unterschiedlichen Themen können Behörden nicht allein bei sich erlangen, sondern über den Austausch mit Fachleuten und Betroffenen. Der Beirat ist der Versuch, dafür ein „Expertengremium“ beim DSC aufzubauen, als ein „Bindeglied zu Wissenschaft und Praxis“ (wie es in der Begründung des DDG heißt).
Damit ist der Beirat bewusst kein repräsentatives oder parteipolitisches Gremium, anders als etwa die Medienräte bei den Landesmedienanstalten (die als ehrenamtliches Kontrollgremium arbeiten und die gesamte Gesellschaft abbilden sollen) beziehungsweise der bereits bestehende Beirat bei der Bundesnetzagentur insgesamt (der aus Vertreter:innen von Bundestag und Bundesrat besteht).
Welche Aufgaben hat der Beirat?
Im DDG sind drei Aufgabenbereiche abgesteckt:
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Beratung des DSC und anderer Behörden
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Empfehlungen zur „wirkungsvollen und einheitlichen Durchführung“ des DSA vorzuschlagen
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wissenschaftliche Fragestellungen an den DSC und andere Behörden zu tragen
🔎 § 21, Absatz 3 DDG
Zu welchen Themen wird der Beirat arbeiten?
Das lässt sich noch nicht abschließend sagen. Das DDG gibt keine speziellen Themen vor, sondern fordert von den Mitgliedern Fachkenntnisse zu digitalen Diensten (siehe übernächste Frage). Viel wird daher von den Interessenlagen, Ressourcen und Fachkenntnissen der Mitglieder und auch des DSC abhängen.
Spezielle Aufsichtsaufgaben, die auf den DSC zukommen und damit auch für den Beirat von Bedeutung sein könnten, sind:
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Aufsicht über die rund 5.000 Dienste, die in Deutschland vom DSA erfasst sind
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Bearbeiten der Anfragen von Forschenden zu Datenzugang bei Plattformen
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Akkreditierung von „vertrauenswürdigen Hinweisgeber:innen“ („trusted flaggers“)
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Bearbeiten/Weiterleiten von Beschwerden der Nutzenden über mögliche DSA-Verstöße
Darüber hinaus betreffen die Regeln im DSA aber weitere, ganz unterschiedliche Themen. Deshalb werden auch ganz unterschiedliche Erfahrungswerte und Expertise für die Beiratsarbeit wichtig. Zum Beispiel behandelt der DSA direkt oder indirekt:
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Umgang mit illegalen Inhalten, wobei es sowohl etwa um gefälschte Produkte als auch Volksverhetzung gehen kann
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Kinder- und Jugendschutz
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Datenschutz, gerade bei Werbung
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Verbraucher:innenschutz, besonders bei Onlinemarktplätzen
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Barrierefreiheit
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Design und Aufbau von Onlineplattformen, einschließlich der algorithmischen Empfehlungssysteme
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Unterstützung von Forschung zu Onlineplattformen
Wie weit gefasst der DSA ist, zeigt sich besonders bei den Regeln, die speziell für sehr große Onlineplattformen gelten (das sind Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzenden in der EU pro Monat). In den verpflichtenden Risikoberichten müssen sie darlegen, welche Risiken für Grundrechte und gesellschaftliche Debatten im Zusammenhang mit ihren Plattformen stehen. Zwar ist für diese sehr großen Onlineplattformen hauptsächlich die Europäische Kommission zuständig, allerdings können die DSCs der Mitgliedstaaten sich auch einbringen, sodass sich hier auch Anknüpfungspunkte für den Beirat ergeben.
Um sich mit solch vielfältigen Themen zu befassen, sind Fachkenntnisse und Erfahrungswerte aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, aus der Wirtschaft, von Betroffenen, von Softwareentwickler:innen und Designer:innen nötig. Diese Expertise sollte idealerweise beim DSC und bei dessen Beirat vorhanden sein.
💡 Details zu den im DSA behandelten Risken finden Sie hier: Übersicht möglicher Risikominderungsmaßnahmen, Stiftung Neue Verantwortung u. a., Dezember 2023 (Englisch)
Befasst sich der Beirat ausschließlich mit kleinen deutschen Plattformen?
Nein, das muss er nicht.
Zwar behandeln die Mitgliedstaaten überwiegend solche Plattformen, die im jeweiligen Land ansässig sind und laut DSA nicht als sehr groß gelten (also weniger als 45 Millionen Nutzende in der EU pro Monat haben). Jedoch können DSCs in bestimmten Fällen auch zu größeren Plattformen aktiv werden, sodass auch hierzu der Beirat gefragt sein könnte.
Außerdem steht im DDG, dass der Beirat Empfehlungen zur wirkungsvollen Durchsetzung des gesamten DSA geben soll und nicht nur Teilen davon.
Doch selbst wenn der Beirat sich ausschließlich auf kleine und mittelgroße Plattformen beschränkte, würde das bei rund 5.000 Diensten in Deutschland mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen, Nutzer:innengruppen und Größen eine Fülle verschiedener Fragen aufwerfen.
💡 Die Zahl von rund 5.000 Diensten in Deutschland stammt aus einer Recherche, die die Regierung beim Statistischen Bundesamt hat durchführen lassen und im Gesetzentwurf veröffentlicht wurde. Eine weitere Studie bestätigte mit leichten Abweichungen diese Größenordnung. Diese Analyse von Possible Digital ist bei der Bundesnetzagentur zu finden.
Wie groß ist der Beirat und wer soll vertreten sein?
Der Beirat soll aus 16 Mitgliedern bestehen:
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4 Mitglieder aus der Wissenschaft
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8 Mitglieder aus der Zivilgesellschaft, davon mindestens eine Vertretung von Verbraucher:innenverbänden
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4 Mitglieder aus Wirtschaftsverbänden (Einzelunternehmen sind nicht erlaubt)
Es könnte sein, dass die Mitgliedschaft sich auf einzelne Personen und nicht Organisationen als ganzes erstreckt, da im Gesetzestext von „Vertreterinnen und Vertretern“ aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft die Rede ist.
Die Mitglieder müssen über Fachkenntnisse zu digitalen Diensten verfügen.
🔎 Im Wortlaut heißt es zu den Fachkenntnissen: „Die Vertreterinnen und Vertreter sollen hinsichtlich der Art und Weise der Tätigkeit digitaler Dienste über besondere rechtliche, wirtschaftswissenschaftliche, sozialpolitische oder technologische Erfahrungen oder über ausgewiesene einschlägige wissenschaftliche Kenntnisse verfügen.“ (§ 21, Absatz 2 DDG)
Wer entscheidet über die Mitgliedschaft im Beirat?
Der Bundestag schlägt die Mitglieder des Beirats vor.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz beruft dann die Mitglieder (im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr).
Wie kann Interesse an einer Mitarbeit im Beirat angemeldet werden?
Da es kein Bewerbungsverfahren gibt, liegt die Entscheidung zur Mitgliedschaft beim Bundestag (siehe vorherige Frage). Die Fraktionen, insbesondere die digitalpolitischen Fachpolitiker:innen, erarbeiten Listen mit potenziellen Mitgliedern und sprechen diese an. Alternativ und/oder zusätzlich können Interessierte sich aber auch grundsätzlich selbst beim Bundestag melden, wobei es hierfür eben kein Anmeldeformular oder eine spezielle Ansprechstelle gibt. Ein Kontakt zum DSC ist ebenfalls möglich, aber er hat keine formale Rolle bei der Benennung des Beirats.
Wie ist der Beirat aufgebaut?
Der Beirat
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soll sich eine Geschäftsordnung geben,
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tagt mindestens einmal alle drei Monate,
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hat zumeist öffentliche Sitzungen,
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wird durch eine Geschäftsstelle bei der Bundesnetzagentur unterstützt,
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kann Informationen vom DSC und anderen Behörden anfragen
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berichtet jährlich dem Bundestag über seine Arbeit und
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soll seine Empfehlungen und Studien veröffentlichen.
🔎 § 21, Absätze 6-8, 10-14 DDG
Was genau wird von Beiratsmitgliedern erwartet?
Eine Teilnahme an den Sitzungen, die mindestens einmal alle drei Monate stattfinden, sowie deren Vor- und Nachbereitung ist für Beiratsmitglieder nötig. Was genau diese Arbeit allerdings umfasst, ist noch nicht klar. Die Aufgaben des Beirats sind recht vage (siehe oben), was einerseits ungünstig sein könnte, andererseits dem Beirat aber auch Spielraum geben könnte. Das Themenspektrum des DSC, zu dem Aufgaben anfallen könnten, ist sehr weit (siehe oben).
Neben der Sitzungsteilnahme könnte in der Praxis eine Beiratsmitgliedschaft heißen, im Austausch mit dem DSC zu stehen, an Stellungnahmen mitzuarbeiten oder diese anzuregen, externes Fachwissen in den Beirat zu holen oder Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben (etwa in Form von Medieninterviews oder eigenen Publikationen). Wie und zu was der Beirat aktiv wird, hängt nicht nur von der Ausstattung des DSCs und der Geschäftsstelle des Beirats ab, sondern auch von den Strukturen und der Motivation im Beirat selbst (siehe unten).
Wo sitzt der Beirat und tagt er auch digital?
Wo und wie der Beirat genau arbeitet, steht noch nicht fest. Das wird von der Geschäftsordnung abhängen, die sich der Beirat gibt. Dass digitale Beiratssitzungen möglich sind, ist zwar nicht ausdrücklich im DDG erwähnt, aber auch nicht ausgeschlossen.
Die Geschäftsstelle, die den Beirat unterstützt, ist in Bonn angesiedelt. Denn in der Begründung zum DDG heißt es, dass die bereits bestehende „Geschäftsstelle Beiräte und Länderausschuss, Geschäftsstelle Beschlusskammer“ auch für den DSC-Beirat zuständig sein soll.
Für wie lange ist der Beirat eingesetzt?
Der Beirat ist jeweils für die Dauer einer Wahlperiode berufen.
🔎 § 21, Absatz 4 DDG
Ist die Arbeit im Beirat ehrenamtlich?
Ja, weitgehend.
Beiratsmitglieder sollen Reisekosten erstattet bekommen und ein „angemessenes“ Sitzungsgeld erhalten. Bei der Bemessung des Sitzungsgelds soll berücksichtigt werden, dass Mitglieder ihre Tätigkeit im Beirat womöglich neben ihrer anderen Arbeit erledigen. Dies wurde auf Drängen des Bundestags in der Gesetzesbegründung ergänzt.
🔎 § 21, Absatz 9 DDG
Was lässt sich von anderen Beiräten lernen?
Viele Ministerien und Behörden haben bereits Beiräte. Teils sind diese eher wissenschaftlich aufgestellt, teils eher politisch. Oftmals können solche Beiräte wertvolle Expertise und Erfahrungswerte einbringen. Eine umfassende Studie von Siri Hummel und Laura Pfirter hat allerdings auch viele Schwachstellen bei derzeit bestehenden Beiräten erfasst:
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Beiräte schließen selten Personen und Organisationen aus der Zivilgesellschaft ein.
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Die Auswahl der Mitglieder unterscheidet sich von Fall zu Fall, aber oft bleibt unklar, warum genau anhand welcher Expertise Mitglieder von wem ausgewählt werden.
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Was mit den Vorschlägen der Beiräte tatsächlich passieren soll, ist häufig nicht definiert.
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Es fehlt fast immer eine Evaluation der Beirats.
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Die Öffentlichkeitsarbeit der Beiräte scheitert vielfach an nicht vorhandenen Webseiten, Mitgliederlisten oder Mitteilungen zur eigenen Arbeit.
Einige dieser Punkte werden im DDG aufgegriffen und verbessert: Zum Beispiel sind Fachleute aus der Zivilgesellschaft ausdrücklich als Mitglieder vorgesehen und der Beirat ist angehalten, seine Empfehlungen zu veröffentlichen.
Bei anderen Punkten bleibt offen, wie beim DSC-Beirat eine erfolgreiche Arbeit gelingen kann: Werden fachlich versierte Menschen als Beiratsmitglieder ausgewählt, ohne Rücksicht auf parteipolitische oder andere Kriterien? Wie transparent wird die Benennung durch Bundestag und Bundesregierung? Anhand welcher Expertise werden die Mitglieder ausgewählt? Was passiert mit den Empfehlungen des Beirats, wenn sie beim DSC oder anderen Behörden gelandet sind? Wie kann die Arbeit des Beirats evaluiert werden, gerade wenn dies nicht vorgeschrieben ist?
Auf dem Papier ist Potenzial für Beratung zu aktuellen Themen, Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung vorhanden, aber der Erfolg und Einfluss des Beirats wird von der Beantwortung dieser Fragen abhängen. Auch praktische, finanzielle Überlegungen sind wichtig: Zwar bekommen die Mitglieder ein Sitzungsgeld, dies wird aber - gerade bei kleineren oder finanzschwachen Organisationen - den Arbeitsaufwand für eine starke Beteiligung kaum abdecken.
Eine motivierte, diverse, fachlich starke und gut vernetzte Mitgliedschaft, die von einer ebenso gut vernetzten und auch gut ausgestatteten Geschäftsstelle unterstützt wird, kann eine Hilfe für den Beirat sein.
Gibt es in anderen Ländern oder auf EU-Ebene ähnliche Beiräte?
Bisher scheint es in anderen Mitgliedsländern der EU keine Bestrebungen zu geben, Beiräte bei den jeweiligen DSCs einzurichten.
Auf EU-Ebene kommen alle DSCs und die Kommission im Europäischen Gremium für digitale Dienste zusammen. Diesem ist es ausdrücklich erlaubt, externe Fachleute einzuladen und anzuhören, ein dauerhaftes, institutionalisiertes Format zum Austauscht gibt es dort allerdings nicht.
🔎 Die Regeln zum Gremium auf EU-Ebene finden sich in den Artikeln 61 bis 63 des DSA. Eine Analyse des Gremiums gibt es hier: Artikel zur Rolle des Gremiums, Stiftung Neue Verantwortung bei DSA Observatory, Februar 2024 (Englisch)
Was ist der Wortlaut des deutschen Digitale-Dienste-Gesetzes zum Beirat?
Die konsolidierte Fassung des DDG zum DSC-Beirat ist nachfolgend aufgeführt. Sie basiert auf folgenden Quellen:
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Finale Version des Digitale-Dienste-Gesetzes: https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2024/149/VO
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Regierungsentwurf des Digitale-Dienste-Gesetzes: https://dserver.bundestag.de/brd/2023/0676-23.pdf
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Änderungen des Bundestags zum Digitale-Dienste-Gesetzentwurf: https://dserver.bundestag.de/btd/20/107/2010755.pdf
§ 21 Beirat
(1) Bei der Koordinierungsstelle für digitale Dienste wird ein Beirat eingerichtet.
(2) Der Beirat besteht aus den folgenden 16 Mitgliedern:
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vier Vertreterinnen und Vertretern der Wissenschaft,
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acht Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft, einschließlich Verbraucherverbänden, und
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vier Vertreterinnen und Vertretern von Wirtschaftsverbänden.
Unternehmen können nicht Mitglieder des Beirates sein. Die Vertreterinnen und Vertreter sollen hinsichtlich der Art und Weise der Tätigkeit digitaler Dienste über besondere rechtliche, wirtschaftswissenschaftliche, sozialpolitische oder technologische Erfahrungen oder über ausgewiesene einschlägige wissenschaftliche Kenntnisse verfügen.
(3) Der Beirat hat die Aufgabe,
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die Koordinierungsstelle für digitale Dienste und die weiteren zuständigen Behörden nach § 12 Absatz 2 und 3 in grundsätzlichen Fragen der Anwendung und Durchsetzung der Verordnung (EU) 2022/2065 zu beraten,
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der Koordinierungsstelle für digitale Dienste und den weiteren zuständigen Behörden nach § 12 Absatz 2 und 3 allgemeine Empfehlungen zur wirkungsvollen und einheitlichen Durchführung der Verordnung (EU) 2022/2065 vorzuschlagen und
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wissenschaftliche Fragestellungen, insbesondere auch zum Umgang mit Daten, an die Koordinierungsstelle für digitale Dienste und die weiteren zuständigen Behörden nach § 12 Absatz 2 und 3 heranzutragen.
(4) Die Mitglieder des Beirats werden vom Deutschen Bundestag vorgeschlagen und für die Dauer der Wahlperiode des Deutschen Bundestages vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr berufen. Sie bleiben nach Beendigung der Wahlperiode des Deutschen Bundestages noch so lange im Amt, bis die neuen Mitglieder berufen worden sind. Die Mitglieder des Beirats können auf ihre Mitgliedschaft verzichten. Der Verzicht ist gegenüber dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz schriftlich oder elektronisch zu erklären. Hierüber ist das Bundesministerium für Digitales und Verkehr vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zu unterrichten. Scheidet ein Mitglied vorzeitig aus, so ist unverzüglich an seiner Stelle ein neues Mitglied zu berufen.
(5) Die Mitglieder des Beirats sind in der Ausübung ihrer Tätigkeit im Beirat unabhängig, unterliegen keinen Weisungen und sind ausschließlich dem öffentlichen Interesse verpflichtet.
(6) Der Beirat gibt sich eine Geschäftsordnung.
(7) Der Beirat wählt nach Maßgabe seiner Geschäftsordnung aus seiner Mitte ein vorsitzendes und ein stellvertretendes vorsitzendes Mitglied.
(8) Für den Beirat unterhält die Bundesnetzagentur eine Geschäftsstelle. Diese Geschäftsstelle muss angemessen ausgestattet werden.
(9) Die Mitglieder des Beirats erhalten Ersatz von Reisekosten und ein angemessenes Sitzungsgeld, das das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Benehmen mit dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr festsetzt.
(10) Der Beirat soll mindestens einmal im Vierteljahr zu einer Sitzung zusammentreten. Sitzungen sind anzuberaumen, wenn die Koordinierungsstelle für digitale Dienste oder mindestens drei Mitglieder die Einberufung beantragen. Die oder der Vorsitzende des Beirates kann jederzeit eine Sitzung anberaumen. Der Beirat kann andere Einrichtungen und Gruppen im Rahmen seiner Tätigkeit in geeigneter Form einbeziehen.
(11) Die Sitzungen sind öffentlich, soweit der Beirat nach Maßgabe seiner Geschäftsordnung nichts anderes beschließt. Die schriftlichen Dokumente des Beirats wie Berichte, Empfehlungen, Gutachten und Positionspapiere sind entsprechend den Vorgaben für die Koordinierungsstelle für digitale Dienste nach § 17 Absatz 3 frei zugänglich auf der Internetseite der Koordinierungsstelle für digitale Dienste zu veröffentlichen, soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von betroffenen Unternehmen gewahrt werden und die Dokumente keine vertraulichen Informationen oder Informationen aus laufenden Verfahren betreffen.
(12) Die Leiterin oder der Leiter der Koordinierungsstelle für digitale Dienste oder die Stellvertretung nehmen an den Sitzungen teil. Sie oder er muss während der Sitzung jederzeit gehört werden. Der Beirat kann die Anwesenheit der Leiterin oder des Leiters der Koordinierungsstelle für digitale Dienste verlangen, wenn die Stellvertretung der Leiterin oder des Leiters verhindert ist.
(13) Der Beirat berichtet dem Deutschen Bundestag jährlich über seine Tätigkeit nach Absatz 3 sowie im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle für digitale Dienste und den anderen zuständigen Behörden nach § 12 Absatz 2 und 3.
(14) Die Koordinierungsstelle für digitale Dienste und die anderen zuständigen Behörden nach § 12 Absatz 2 Satz 1 und 3 informieren den Beirat auf Verlangen über den Tätigkeitsbericht nach § 17 hinaus über ihre Tätigkeiten. Dabei sind das Berufsgeheimnis nach Artikel 84 der Verordnung (EU) 2022/2065 sowie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu wahren. Die Information erfolgt in der Regel in den Sitzungen des Beirats.
Begründung zu § 21 (Beirat)
Der Beirat soll als Expertengremium die Koordinierungsstelle bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstützen und als Bindeglied zu Wissenschaft und Praxis fungieren.
Absatz 2 legt die Anzahl der Beiratsmitglieder auf sechzehn fest. Diese müssen aus Kreisen der Wissenschaft, Zivilgesellschaft, einschließlich Verbraucherverbänden und Wirtschaftsverbänden stammen und über die in 3 beschriebene Expertise verfügen. Einzelnen Unternehmen ist die Mitgliedschaft im Beirat verwehrt. Die Besetzung des Beirates mit Experten aus Wissenschaft und Praxis trägt dem Umstand Rechnung, dass die Entwicklungen der Geschäftsmodelle digitaler Dienste schnell und dynamisch voranschreiten und die Koordinierungsstelle daher auf vielfältige, fachkundige und aktuelle Expertise zu einer weiten Spannbreite an Themen angewiesen ist. Der Beirat muss diesen Bedarf weitgehend abdecken können. Die Einrichtung eines Beirates dient auch der Verbesserung des Informationsaustausches zwischen der Koordinierungsstelle, digitalen Diensteanbietern und Nutzenden.
Absatz 3 weist dem Beirat bestimmte Aufgaben zu. Der Beirat verfügt über keine Entscheidungsrechte, nimmt jedoch eine wichtige Beratungstätigkeit wahr. Dabei spricht er auch Empfehlungen aus, macht Vorschläge und befasst sich mit wissenschaftlichen Fragestellungen. Der Beirat kann im Rahmen seiner Tätigkeit auch Positionspapiere erstellen, Gutachten verfassen oder in Auftrag geben. Er hat dabei auch die Vernetzung und den Dialog mit geeigneten Interessensgruppen sowohl im Sinne eines allgemeinen Erfahrungsaustausches als auch bezogen auf grundlegende Fragestellungen zu fördern.
Die Absätze 4 bis 8 regeln die Besetzung und Ausstattung des Beirates während die Absätze 9 bis 13 die wesentliche Tätigkeit und Verfahrensweise des Beirates gesetzlich festlegen. § 21 Absatz 8 soll sicherstellen, dass die Bundesnetzagentur dem Beirat bei der nationalen Koordinierungsstelle zur effektiven Aufgabenwahrnehmung eine angemessen ausgestattete Geschäftsstelle zur Verfügung stellt. Der Beirat der Koordinierungsstelle für digitale Dienste nutzt als Geschäftsstelle die vorhandene Geschäftsstelle „Beiräte und Länderausschuss, Geschäftsstelle Beschlusskammern“ bei der Bundesnetzagentur. Nach Absatz 6 soll Näheres in einer Geschäftsordnung festgelegt sein, die der Genehmigung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz im Benehmen mit dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr und der Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf.
Die Absätze 10 bis 12 regeln die Sitzungstätigkeit des Beirates, während der Absatz 13 sich zu der Berichtstätigkeit verhält. Der Beirat hat dem Deutschen Bundestag jährlich über seine Tätigkeit zu berichten.
Begründung zu den Änderungen des Bundestags
Die Änderungen in § 21 Absatz 3 sollen gewährleisten, dass die Aufgaben des Beirats über die Koordinierungsstelle für digitale Dienste hinaus auch den anderen zuständigen Behörden zugutekommen. Hierfür ist es auch erforderlich, dass die Geschäftsstelle des Beirates ausreichend ausgestattet ist, insbesondere um auch inhaltliche Zuarbeiten zu ermöglichen.
Unabhängig von der Ausstattung der Geschäftsstelle haben die Ministerien bei der Festsetzung des angemessenen Sitzungsgeldes nach Absatz 9 zu berücksichtigen, dass Beiratsmitglieder die Beiratstätigkeit gegebenenfalls nicht im Rahmen eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses ausüben und somit für die Tätigkeit nicht bereits durch den Arbeitgeber entlohnt werden. Dies betrifft insbesondere vorbereitende Tätigkeiten für Beiratssitzungen sowie gegebenenfalls die erforderliche Einbindung wissenschaftlicher Mitarbeiter.
Mit der Streichung des Genehmigungserfordernisses sollen nicht erforderliche bürokratische Voraussetzungen vermieden und die Eigenständigkeit des Beirats gestärkt werden.
Es soll keine unnötige Schriftform normiert werden. Ob und wenn ja welche Form ein Antrags nach § 21 Absatz 10 Satz 1 haben soll, kann der Beirat in seiner Geschäftsordnung nach § 21 Absatz 7 festlegen.
Da der Beirat die Koordinierungsstelle in grundsätzlichen Fragen berät, Empfehlungen ausspricht und wissenschaftliche Fragestellungen an die Koordinierungsstelle heranträgt (vergleiche § 21), sollen entsprechend der Transparenzvorgaben für die Koordinierungsstelle für digitale Dienste auch die schriftlichen Dokumente des Beirats entsprechend veröffentlicht werden. Ausgenommen hiervon sind jedoch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie vertrauliche Informationen und Informationen aus laufenden Verfahren.
Diese Änderung ist eine Folgeänderung zu den Anpassungen in § 21 Absatz 3.
Um seiner Tätigkeit wirksam nachgehen zu können, sollten dem Beirat Informationsansprüche gegenüber der Koordinierungsstelle und den anderen zuständigen Behörden zustehen, die über die Inhalte des Tätigkeitsberichtes nach § 17 hinausgehen. Um den Aufwand für die Koordinierungsstelle für digitale Dienste und die anderen zuständigen Behörden im Rahmen zu halten, sollten die Informationen in der Regel während der Sitzungen des Beirats erfolgen; sie sind also nicht zwingend schriftlich zu übermitteln. Der Beirat kann den Behörden insbesondere seine Fragen und Informationsbegehren zur Vorbereitung der nächsten Beiratssitzung zukommen lassen. Die Wahrnehmung der Informationsverpflichtung gegenüber dem Beirat hat dabei unter Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowie des Berufsgeheimnisses nach Artikel 84 des DSA zu erfolgen. Die Beiratsmitglieder sind bei Bedarf zur Vertraulichkeit zu verpflichten. Dem Beirat steht es allerdings frei, besondere Fragestellungen schriftlich oder mündlich in nichtöffentlicher Sitzung an die Koordinierungsstelle für digitale Dienste und die anderen zuständigen Behörden zu richten und von ihnen zu erhalten.
Author
Dr. Julian Jaursch
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