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Hallo und herzlich Willkommen zum Talk „Deutschland sucht den Digital Services Coordinator“.
Dieser „Digital Services Coordinator“ ist eine neue Behörde, die in Deutschland entstehen soll, um EU-Regeln für Plattformen durchzusetzen. Dabei geht es um Transparenz für Werbung, Beschwerdewege und Risikominimierung.
Das hört sich jetzt alles etwas trocken an: Behörde. Regulierung. Risikominimierung. Aber dieses Regelwerk der EU hat das Potenzial, viele von uns im Alltag zu berühren, weil viele von uns vermutlich Plattformen auf irgendeine Art und Weise benutzen: Suchmaschinen, Online-Marktplätze, Buchungsseiten, Foren, soziale Netzwerke.
Das Ziel dieses Regelwerks ist es unter anderem, Grundrechte der Nutzenden zu schützen. Das kann aber nur funktionieren, wenn diese Regeln auch vernünftig durchgesetzt werden. Genau darum soll es jetzt gehen in den nächsten rund 15 Minuten. Ich werde erst kurz was zu diesen EU-Regeln selbst sagen, dann zu der Frage, wer sie auf EU-Ebene und in Deutschland durchsetzen soll und den Fokus ganz am Ende noch mal sehr speziell auf Deutschland legen.
Mit diesen Fragen haben wir uns in der SNV beschäftigt. Die Stiftung Neue Verantwortung ist ein gemeinnütziger Think Tank. Wir arbeiten zu diversen digitalpolitischen Themen. Mein Name ist Julian Jaursch und ich bin in diesem Think Tank unter anderem mit einigen meiner Kolleg:innen für die Themen Plattformaufsicht und Plattformregulierung zuständig. Unsere Analysen und Vorschläge sind alle auf der Webseite öffentlich und kostenfrei verfügbar. Im Bereich Plattformaufsicht haben wir eigene Recherchen durchgeführt, haben mit vielen Leuten gesprochen, Fachinterviews geführt mit Leuten aus der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und haben eine Behördenbefragung durchgeführt. Basierend darauf würde ich gerne ein paar der Überlegungen, die wir angestellt haben, hier präsentieren.
Der DSA im Überblick: EU-weites Regelwerk für Plattformen
Ich starte mit dem Punkt zum EU-Regelwerk: Das ist der DSA, der „Digital Services Act“, also das Digitale-Dienste-Gesetz der EU. Dieser DSA ist ein Regelwerk für Onlineplattformen, das seit Ende 2022 in Kraft ist mit dem erklärten Ziel für uns Nutzende ein „transparentes und sicheres Onlineumfeld“ zu schaffen.
Wie der DSA dieses Ziel gerne erreichen möchte ist, indem es Regeln aufstellt für Plattformen und damit eine Abkehr ist davon, Plattform Sachen alleine entscheiden zu lassen. Ein paar Beispiele dafür: Wie gehen Plattform damit um, welche Inhalte sie löschen, welche Inhalte sie gezielt anzeigen, welche Inhalte sie blockieren? Erklären Plattform ihre algorithmischen Empfehlungssysteme? Haben Plattformen Beschwerdewege für Nutzende? Das sind alles Fragen, die vor dem DSA in den allermeisten Fällen den Plattformen allein überlassen wurden: Es gab Selbstverpflichtungen, freiwillige Maßnahmen, manchmal gab es auch nationale Gesetze zu einzelnen Teilaspekten davon. Nach dem DSA soll es eben so sein, dass es ein EU-weites Regelwerk für solche und weitere Fragen gibt. Plattformen in der EU wird damit ein Rahmen vorgegeben und Mitgliedstaaten auch.
Der DSA hat sicherlich Schwächen. Es gibt Themen, bei denen manche Leute gerne noch weitergegangen wären. Das Gesetz ist also nicht perfekt. Aber selbst wenn der DSA perfekt wäre, selbst wenn es perfekte Regeln gäbe – die besten Regeln bringen ja nichts, wenn sie nicht vernünftig durchgesetzt werden.
DSA-Durchsetzung: Gemeinsame Verantwortung der Kommission und Mitgliedstaaten
Damit kommen wir zum zweiten Teil und zur zweiten Frage, der Durchsetzung dieser neuen EU-Regeln. Da muss ganz grob unterschieden werden zwischen sehr großen Onlineplattformen, die im DSA erwähnt werden, und allen, die nicht als sehr groß gelten. Diese sehr großen Onlineplattform sind solche, die mindestens 45 Millionen Nutzende in der EU im Monat haben. Das sind bekannte Dienste wie Facebook, Instagram, TikTok, Wikimedia, Zalando, Booking und noch weitere, insgesamt 19 aktuell.
Für diese sehr großen Onlineplattformen ist hauptsächlich die Europäische Kommission zuständig, um bei denen die Einhaltung des DSA zu überprüfen. Das ist eine relativ neue Aufgabe für die Kommission. Die Kommission ist bisher selten als tatsächliche Aufsichts- oder Durchsetzungsbehörde in Erscheinung getreten, denn das ist nicht ihre Rolle. Deshalb wird in Brüssel auch gerade ziemlich viel umstrukturiert, es werden neue Teams aufgestellt, es werden neue Leute gesucht. Die Kommission holt sich auch Unterstützung, unter anderem durch das Europäische Zentrum für algorithmische Transparenz. Das wurde im April in Sevilla eröffnet. Das ist eine Forschungseinrichtung, die dafür da ist, die Kommission bei der Durchsetzung für diese sehr großen Onlineplattformen zu unterstützen.
Für die nicht sehr großen Onlineplattformen sind aber die Mitgliedstaaten zuständig, also jeweils der Mitgliedsstaat, in dem diese Plattform den Sitz hat. Das bedeutet in der Praxis: Die Mitgliedstaaten können durchaus mehrere Behörden benennen, die sich dann um die Durchsetzung der Regeln aus dem DSA kümmern.
Diese Trennung, die ich jetzt hier aufgemacht habe, ist aber gar nicht so strikt. Denn es ist so, dass es durchaus auch Möglichkeiten gibt wie die Kommission und die Mitgliedstaaten Zusammenarbeiten. Erstens können die Mitgliedstaaten auch manchmal bei der Durchsetzung bei den sehr großen Onlineplattformen mithelfen. Zweitens sitzen die Kommission und die Mitgliedstaaten zusammen in einem neuen europäischen Gremium, dem Europäischen Gremium für digitale Dienste. Das ist ein Beratungsgremium, in dem sie eben auch zusammenarbeiten müssen. Da sitzen, wie gesagt, die Kommission und die Mitgliedstaaten. Hier kann aber aus den Mitgliedstaaten jeweils nur eine Behörde sitzen. Ich hatte ja eben gesagt, dass die Mitgliedstaaten durchaus mehrere Behörden benennen können. In diesem Fall, wenn sie in dem Gremium sitzen, kann es aber nur eine Behörde pro Mitgliedstaat sein.
Das ist jetzt wahrscheinlich keine große Überraschung – das ist genau der besagte „Digital Services Coordinator“. Dieser Koordinator hat also die Aufgabe, die nationalen Behörden zu koordinieren, er hat die Aufgabe im Gremium zu sitzen, aber der Koordinator macht mehr als nur Koordinieren. Der Koordinator hat auch eine ganze Reihe von wichtigen Aufsichts- und Durchsetzungsaufgaben bekommen. Da würde ich gerne ein, zwei Beispiele liefern, um kurz zu zeigen, was der DSC genau machen muss.
Der DSC für Nutzende: Zentrale Beschwerdestelle
Für die Leute im Publikum, die Plattformen nutzen – seien es Suchmaschine, Onlinemarktplätze, was auch immer – ist der DSC ziemlich wichtig. Das Beispiel, das ich hier rausgepickt habe, um das zu zeigen, ist der DSC als eine Beschwerdestelle. Der DSA sieht auch vor, dass die Plattform selbst Beschwerdewege haben müssen. Aber was ist zum Beispiel, wenn genau diese internen Beschwerdewege nicht funktionieren? Dann können sich Verbraucher:innen an den DSC wenden. Was ist, wenn eine Buchungsplattform oder ein soziales Netzwerk die algorithmischen Empfehlungssysteme nicht gut erklärt? Dann können sich die Verbraucher:innen an den DSC wenden.
Die deutsche Verbraucherschutzorganisation vzbv hat sehr stark betont, dass es hier wichtig ist, dass es eine zentrale Beschwerdestelle ist – damit Nutzende nicht von einer Behörde zur nächsten geschickt werden, damit sie zeitig Rückmeldung bekommen. Das bedeutet wiederum für mich, dass der Koordinator Expertise aufbauen muss zu unterschiedlichen Risiken auf unterschiedlichen Plattformen für unterschiedliche Gruppen von Menschen. Eine gewisse Spezialisierung und der Aufbau von Expertise beim DSC ist also wichtig.
Der DSC für die Forschung: Eigene Analysen und Netzwerkaufgaben
Für diejenigen, die Plattformen nicht nur nutzen, sondern auch zu Plattformen forschen, ist der Koordinator nochmal wichtiger und zwar, um diese viel zitierte „Blackbox“ algorithmischer Plattformen zu öffnen.
Bislang war es so, dass, wenn Forschende Daten von Plattformen haben wollten, sie meistens auf den guten Willen der Plattformen angewiesen waren. Sie mussten bei der Plattform vorstellig werden, wenn sie zum Beispiel erforschen wollten: Wie verbreiten sich bestimmte Inhalte? Wie funktionieren die Empfehlungssysteme? Manchmal hat das funktioniert – es gibt ja Forschung zu Plattformen – aber in vielen Fällen hat das auch nicht funktioniert: Die Daten waren fehlerhaft oder nicht vollumfänglich, die Datenschnittstellen waren nicht gut, es war zu teuer, es gab irgendwie Schikane, wer welche Daten bekommen hat oder nicht.
Deshalb war im DSA der Ansatz: Es muss einen gesetzlich verbrieften Zugang geben für Forschende zu Daten. Das steht grob im DSA, das wird auch noch verfeinert in weiteren Gesetzen – aber die tatsächliche Umsetzung des Ganzen liegt beim Koordinator. Die Kommission und die Koordinatoren können selbst Daten anfragen, aber nur die Koordinatoren sind auch dafür zuständig, dass Forschende, seien sie aus Unis oder aus der Zivilgesellschaft, Daten bei Plattformen anfragen können. Das heißt, auch hier ist es wieder sehr wichtig dass die Koordinatoren eine Expertise aufbauen, um Plattformrisiken zu verstehen, um solche Anträge bewerten zu können, um ein Netzwerk aufzubauen zu Wissenschaft und zu Zivilgesellschaft.
Wenn diese ganzen Aufgaben jetzt einmal zusammengenommen werden, dann ergibt sich so eine Art Blaupause oder idealtypischer Koordinator. Das habe ich versucht, im Folgenden mal aufzuzeigen.
Anforderungen an einen starken DSC: Kollaborativ, spezialisiert, vernetzt
Der Koordinator muss kollaborativ sein. Das ist hauptsächlich diese Koordinierungsfunktion. Er muss die verschiedenen Behörden zusammenbringen und mit ihn im Austausch sein. Aber ich finde die Beispiele Datenzugang und Beschwerdestelle haben gerade auch gezeigt, dass er eine Expertise aufbauen muss. Es muss eine Art Spezialisierung für Plattformen, Plattformrisiken und Plattformgeschäftsmodelle beim Koordinator vorhanden sein, damit überhaupt die möglichen Vorteile für Nutzende und für Forschende genutzt werden können. Der letzte Teil ist die Vernetzung. Das ist nicht nur deshalb wichtig, weil es wortwörtlich so im DSA steht, dass der Koordinator sich vernetzen muss, sondern ist auch aus praktischen Gründen wichtig. Die Expertise kann nicht aufgebaut werden, wenn der Koordinator nicht mit externen Fachleuten im Austausch steht.
Die Lage in Deutschland: Bündelung von Kompetenzen nötig
Damit komme ich zum letzten Teil und zu der Frage: Wie sieht das denn jetzt hier in Deutschland aus? Und damit komme ich auch zur letzten Abkürzung für heute: KDD, die Koordinierungsstelle für digitale Dienste. Da muss ich leider ein sehr großes Sternchen dran machen, weil das alles noch nicht final ist. Es wird seit Monaten darüber diskutiert, wo der deutsche Koordinator entstehen soll, wie er entstehen soll, wie er aufgebaut sein soll. Dazu wird es einen Gesetzentwurf geben aus dem Digitalministerium und das wiederum wird dann im Bundestag debattiert, aber diesen Gesetzentwurf gibt es eben noch nicht offiziell. Das heißt, viele der Sachen, die jetzt kommen, sind eher Spekulation und dafür gedacht, dass vielleicht Leuten, die das später interessiert, auch eine Bewertung dieses Gesetzentwurfs oder zumindest der Berichterstattung dazu möglich sein soll.
Ich werde mich jetzt daran versuchen, einige Prüfsteine aufzuzeigen für den deutschen Koordinator und wie das in Deutschland vielleicht gelingen kann und dazu noch mal auf die drei Bereiche von eben verweisen.
Gerade in Deutschland ist es wichtig, den Koordinierungsaufwand möglichst gering zu halten. Das liegt auch daran, dass wir in Deutschland föderal organisiert sind. Es gibt auf der Landesebene und auf der Bundesebene viele Behörden, Anstalten und Gremien, die irgendwie mit Plattformen zu tun haben. Es war auch immer klar, dass es in Deutschland nicht nur eine einzige Stelle geben wird, die die Plattformaufsicht übernimmt. Aber hier sollte wirklich sichergestellt werden, dass möglichst viel beim Koordinator gebündelt wird und möglichst wenig Ausnahmen dafür entstehen, wenn der Koordinator nicht zuständig ist. Das Risiko, das ich sonst sehe, ist, dass vor lauter Koordinationsaufwand der Koordinator die ganzen anderen wichtigen Aufgaben, die ich vorgestellt habe, die den Nutzenden und der Forschung auch sehr helfen würden, dass die unter den Tisch fallen, dass er die nicht wahrnehmen kann.
Der zweite Punkt zu Expertise: Da war wohl mal im Gespräch oder ist im Gespräch, ein Forschungsbudget beim deutschen Koordinator vorzusehen. Das halte ich für sehr sinnvoll, das wäre super, wenn so etwas käme. Ich würde sogar noch weitergehen und sagen, dass der Koordinator eine eigene Forschungs- oder Dateneinheit braucht, wo eben solche Datenanalysen durchgeführt werden können und wo der Kontakt zur Wissenschaft hergestellt werden kann.
Zum letzten Punkt der Vernetzung: Da ist es wichtig, verschiedene Austauschformate zu haben, um die Zivilgesellschaft einzubinden. Das scheint auch der Wunsch der Gesetzgeber zu sein. Es gab Diskussionen dazu, einen Beirat beim Koordinator einzurichten. Auch das halte ich grundsätzlich für sinnvoll, wenn er eben neben anderen Austauschformaten besteht, um sich nicht nur auf dieses eine doch sehr starre Format eines Beirats zu verlassen.
Was ich sonst noch als kleine Gefahr bei einem Beirat sehe, ist, dass es vielleicht nur so eine Art vorgetäuschte Einbindung von externer Expertise ist. Das ist leider nicht selten der Fall. Das Maecenata Institut hat eine Studie gemacht, in der sie sich alle Beiräte auf Bundesebene angeguckt haben und haben unter anderem drei Sachen festgestellt. Erstens: Die Zivilgesellschaft ist fast nie eingebunden. Zweitens: Die Transparenz dazu, wer in diesen Beiräten sitzt und was der Beirat machen darf, ist sehr gering. Drittens: Die Beiräte werden fast nie evaluiert. All das könnte der deutsche Koordinator besser machen. Er könnte von vornherein die Zivilgesellschaft mit einbeziehen, eine klare Rolle für den Beirat vorsehen und die Benennung so einrichten, dass sie auch wirklich inhaltlich und nicht politisch bedingt ist, und es könnte eine gesetzlich vorgeschriebene Evaluierung des Beirats vorgesehen werden.
Langfristiger Blick: Eine eigenständige Plattformaufsicht in Deutschland
Wenn man diese drei Punkte berücksichtigt – also eine starke Bündelung, ein guter Expertiseaufbau und eine Vernetzung mit einer echten Einbindung von Zivilgesellschaft – dann kann der Koordinator in Deutschland auch eine hoffentlich starke Rolle für uns als Plattformnutzende spielen.
Ich persönlich würde sogar aber auch sagen – und da erlaube ich mir noch eine Bonusabkürzung – dass es langfristig sinnvoll wäre, eine wirklich eigenständige, unabhängige, spezialisierte neue Behörde aufzubauen: eine Digitale-Dienste-Agentur.
Ich bin mir darüber im Klaren: Eine neue Behörde ist wirklich kein Allheilmittel. Das ist teuer, das dauert lange, das ist ein bürokratischer Aufwand. Aber gerade bei diesem Fall DSA ist es wirklich sinnvoll, darüber nachzudenken. Denn der DSA fordert sowieso eine unabhängige Plattformaufsicht und es ist eben nicht nur der DSA, der sich mit Plattformen, mit Datenschutz, mit Datenökonomie auseinandersetzt. Da ist noch eine ganze Reihe von deutschen und europäischen Vorhaben, die alle damit zu tun haben: das KI-Gesetz, die Verordnung zu politischer Werbung, die Reform der DSGVO. Da wäre es schon sinnvoll, wenn man sich mittel- oder langfristig darüber Gedanken macht, was die Vorteile so einer Digitalen-Dienste-Agentur sein können.
Damit schließe ich erstmal, freue mich sehr auf Fragen, Kommentare und Kritik und danke schon mal sehr herzlich.